"Der Teufel nutzte ihre Sünden"

Verzweiflung, Schuldbekenntnis und Erlösung in einem Hexenprozess im 17. Jahrhundert

von Laura Kounine

1678, fünfzig Jahre nach dem Höhepunkt des Hexenwahns, der Deutschland zwischen 1580 und 1630 heimgesucht hatte, stand Dorothea Rieger wegen Hexerei vor Gericht. Verhandelt wurde in Besigheim, einer Stadt dreißig Kilometer nördlich von Stuttgart, im südwestlichen Herzogtum Württemberg, einer Gegend, die eher weniger für Hexenjagden bekannt war. Der Prozess gegen Dorothea Rieger fand relativ spät in der Geschichte der frühneuzeitlichen Hexenjagden statt und war insgesamt auch kein "typischer" Prozess. Rieger erregte die Aufmerksamkeit der Obrigkeit mit ihrem Bekenntnis, dass der Teufel ihre "Sünden genutzt"* hätte und dass sie "an den Galgen gehöre"; ein Bekenntnis zu dem sie wohl durch ihre Selbstmordgedanken und ihre "Blödigkeit" getrieben worden war.

Schon die Selbstmordgedanken in diesem Fall weisen auf die mögliche Bedeutung von Gefühlen in Hexenprozessen an. Überhaupt sind solche Prozesse gerade im Hinblick auf die Geschichte der Gefühle interessante Quellen für Historiker, die sich mit der Frühen Neuzeit beschäftigen.1 Ein elementarer Bestandteil von Hexerei ist der Wunsch, anderen zu schaden. Damit dreht es sich bei Hexerei zentral darum, welchen Einfluss emotionale Zustände auf körperliche Befindlichkeiten haben.2 Wenn in einem Gerichtssaal festgestellt werden sollte, ob jemand eine Hexe bzw. ein Hexer war oder nicht, waren die Vernehmer – sowohl solche aus der geistlichen wie aus der juristischen Hierarchie – gezwungen, das Gewissen, die Seele und die Gefühle des oder der Beschuldigten zu untersuchen. In einem Prozess wie dem von Dorothea Rieger, der zu einer spirituellen Bekehrung führen sollte, und wo der physische Beweis von Hexerei – wenn es ihn denn überhaupt gab – so gut wie nicht in den Prozessakten vorkam, wurde das Verhalten des oder der Angeklagten, das Gebaren während des Prozesses und ganz besonders seine oder ihre "inneren Zustände" auf Zeichen von Schuld untersucht. Das Verbrechen der Hexerei kann hier als ein bewusstes und ein emotionales Verbrechen gesehen werden. Gerichtsakten von Hexenprozessen können häufig frustrierend diffus und sogar banal sein. Darüber hinaus geben sie als Dokumente der Anklage nie den direkten Blick auf die Aussage des Angeklagten frei. Wenn die Akten aber sorgfältig und genau gelesen werden, können sie einen Eindruck davon geben, in welcher Weise die Kommunikation zwischen Angeklagtem und Verhörendem durchsetzt von Gefühlen war.

In einem Gerichtsbericht vom 15. Januar 1678 wurde niedergelegt, dass Dorothea Rieger, eine 74-jährige Witwe, während ihrer Krankheit verschiedene Dinge gesagt hätte, worüber ihr Aufseher befragt wurde.3 Christoph Ott, der Aufseher erklärte, dass am vorangegangenen Samstag um die Mittagszeit "Sie, Dorothea, angefangen [hat] ganz verzweifelt zu reden", und zwar, dass sie eines christlichen Begräbnisses nicht wert sei, sondern eher "an den Galgen gehöre, ja, man sollte sie verbrennen".4 Sie behauptete, dass "der Teufel ihre Sünden nutze", durch die "vielen Ehebrüche" die sie begangen hätte.

Sie hätte gemeint, der Teufel werde sie vergangene Nacht gewiss holen, sie könne nicht beten, der Teufel wehre es ihr, es sei alles vergebens, sie könne nicht glauben, das ihr Gott werde gnädig sein, und ob sie schon per intervalla einen Tag Ruhe gehabt und wieder beten können, so ist es doch gestern wieder schlimmer geworden, und ist bereits die völlige Verzweiflung wieder da.5

Rieger hatte weiterhin angegeben, dass sie mit dem Bürgermeister Ehebruch begangen habe, "welches erst neulich geschehen". Sie zählte eine Reihe weiterer Männer auf, mit denen sie nach ihrer Aussage Affären gehabt habe. Insgesamt habe sie mit mehr als einhundert Personen Ehebruch begangen.6

Es war von Anfang klar, dass Rieger an einer Geisteskrankheit litt, die als "Blödigkeit" beschrieben wurde.7 Ihre "Blödigkeit" kam und ging, so dass berichtet wurde, dass sie manchmal "in Blödigkeit" spräche und manchmal ohne. Die Blödigkeit führte dazu, dass Rieger einige ungewöhnliche Verbrechen gestand. Zum Beispiel gestand sie "kürzlichen" Ehebruch mit dem Bürgermeister – was nicht von jedem als glaubhaft angenommen wurde. Angesichts ihres hohen Alters und ihrer Gebrechlichkeit – sowohl körperlich als auch mental – schienen die Selbstbezichtigungen nicht überzeugend. Der Bürgermeister wurde zu den Vorwürfen Riegers befragt und wies jegliche Affäre heftig von sich. Er sagte, dass es "lauter Unwarheit" wären, dass er sie "niemals berührt, noch weniger mit ihr geschlafen hätte".8

Rieger war sehr verstört und litt unter ihrer Schuld, und es wurde berichtet, dass sie sich selbst erstechen wolle, "wenn man ihr nur ein Messer gäbe".9 Rieger erwog offensichtlich Selbstmord. In der Frühen Neuzeit war Selbstmord jedoch kulturell stark sanktioniert, er galt als ein Verbrechen. Selbstmörder wurden damit bestraft, dass sie nicht in geweihter Friedhofserde begraben wurden und daher erwartete sie ewige Verdammnis.10 Mit dem Geständnis ihrer Verbrechen mit dem Teufel sicherte sich Rieger nicht nur einen so gut wie unvermeidlichen Tod, das Geständnis öffnete auch zumindest die Möglichkeit, statt als ewig verdammte Selbsmörderin als reuige Sünderin zu sterben. Ihr Geständnis der Hexerei erinnert also an Fälle von Selbstmord, bei denen eine Person einen Mord begeht, um dann zur Strafe für dieses Verbrechen getötet zu werden.11

In der Sprache der Gerichtsakte – einer diffusen Mischung aus Riegers eigenen Worten und denen des Gerichtsschreibers – stand ein Gefühl besonders im Vordergrund: die Verzweiflung. Dieses Gefühl wird in der lutherischen Terminologie als Anfechtung beschrieben. In der Tat waren die Anfechtungen, also Angriffe oder Versuchungendes Teufels, für Lutheraner ein Symbol von Frömmigkeit; sie waren ein Zeichen dafür, dass der Befallene in seinem Glauben lebendig war. Im frühneuzeitlichen lutherischen Deutschland wurden daher Gefühle wie Verzweiflung oder Angst nicht etwa als im Unterbewusstsein begründet oder als eine persönliche Störung wahrgenommen, sondern vielmehr als ein Angriff des Teufels verstanden.12 Das bedeutet nicht, dass die Menschen in dieser Zeit keine "Gefühle" erlebten, sondern es bedeutet, dass Gefühle durch eine gänzlich andere Weltsicht konzeptualisiert und erklärt wurden.13 Verzweiflung wurde eben nicht innerhalb des Selbst lokalisiert, wie es vielleicht ein Mensch des 21. Jahrhunderts tun würde, sondern sie wurde in der Beziehung zu Gott und Teufel ausgedrückt. Verzweiflung wurde daher – wenn in angemessenen Ausmaße erlebt – als gesunde Emotion betrachtet: sie erinnerte den Gläubigen an seine angeborene und heillose Sündhaftigkeit. Trotzdem konnte die Verzweiflung auch überhand nehmen und leicht in suizidale Verzweiflung umschlagen, wenn der Gläubige begann, an seiner Erlösung zu zweifeln.14 Um näher zu Gott zu gelangen, musste der Teufel überwunden werden. Diese Auffassung tröstete diejenigen, die von dieser Verzweiflung befallen waren, da Luther die hoffnungsvollen Worte formulierte, dass "wer immer auch im diesseits unter dem Teufel leide, wird es nicht im Jenseits tun".15 Dies war jedoch, wie Luther auch selbst zugab, nur ein schwacher Trost für diejenigen, die in eine tiefe Depression gefallen waren.16

Rieger führte erneut aus, dass sie "auf den Scheiterhaufen" gehöre und bekannte letztlich: "Ja, sie sei eine Hexe."17 Sie fuhr fort:

Mit nochmaligen Bitten, ihr das Recht anzugedeihen und wiederfahren zu lassen, dass sie der Marter entkomme, denn der Teufel [der] in ihr wohne, auf dem Herzen und in dem Hals hart drücke, dass sie nicht wohl reden könne und so quäle und peinige, dass sie es nicht mehr erdulden und aushalten könne, man solle ihr ein Messer geben, dass sie es in den Leib stoße.18

Schließlich, rief sie aus, wolle sie diesen bestimmten Punkt nicht bestätigen, da sie sich nicht an alles so genau erinnere, was sie damals in ihrer Angst gesagt hätte. Aber dieses wolle sie zugeben:

dass sie der Teufel vor zwei Jahren in Gestalt eines schönen Junggesellen aus ihrer Stube abgeholt habe […] Unterdessen habe sie nicht mehr von ihm gehört, bis vor 14 Tagen ihr das Gewissen erwachte, da der Teufel ihre Sünden heftig ausnutzte.19

Sie gab an, dass alles andere, was gegen sie vorgebracht würde ein "Missverständnis" sei und bettelte, dass ihr nichts anderes mehr zur Last gelegt werden solle.20 Jetzt wurde beobachtet, dass Dorothea Rieger ohne "Blödigkeit" gestand.21

Noch vor Urteilsfindung wurde jedoch am 1. März festgestellt, dass Rieger in der vorangegangenen Nacht "bei guter Vernunft […] ein stilles und sanftes Ende" genommen hatte.22 Diese Anmerkung in den Gerichtsakten ist an sich ein Beispiel für eine Erlösungsgeschichte: Nach geistlicher Anleitung beichtete Rieger bei klarem Verstand woraufhin ihr ein friedlicher Tod gewährt wurde. Es stellte sich nun die Frage, ob Rieger als Hexe oder als reuige Sünderin gestorben war, die ein christliches Begräbnis verdiente. Es wurde berichtet:

[dass wir] an ihrer Bekehrung und Seligkeit nicht zweifeln, […] weil sie, so lange wir sie besuchten, immer […] andächtig betete, gestern haben wir sie das letzte Mal besucht, da sie uns darum vernünftig und verständlich gebeten hatte, im Glauben und Hoffnung, dass sie bald Gnade bekäme, ihre Sünden […] vergeben [werden], […] wir haben sie gefragt neben anderen Punkten, ob sie noch Anfechtung, Versuchung und Nachstellung vom bösen Feind habe? Antw.: Nein, bald habe [sie] nicht mehr. 2. Ob sie keine schwere Sünde mehr über die bekannten hinaus auf ihrem Herzen und Gewissen [unleserlich] habe? Antw.: Nein, sie habe alles bekannt und wisse nichts mehr. 3. Ob es wahr sei, und sie wahrhaftig und beständig bei der Angabe […] bleibe. Antw: Ja, es sei und bleibe ewig wahr, sie wolle darauf leben und sterben, welches sie erst gestern Abend vier Stunden vor ihrem Tod mit dem Pfarrer im Beisein ihrer 3 Wächter wieder bekannt und deutlich [und] auch vernünftig bejaht. […] Also ist es daran […] sich Bescheid zu holen, wie es mit ihrem Begräbnis gehalten werden soll.23

Aus diesem Prozess lässt sich viel ablesen. Obwohl Rieger offensichtlich an einer Geisteskrankheit litt und darüber hinaus auch alt und gebrechlich war, beschlossen die Richter, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes klar bei Verstand gewesen war. Ihre Geisteskrankheit und ihr instabiler emotionaler Zustand wurden nicht als strafmildernd im Hinblick auf ihre Aussagefähigkeit herangezogen. Dies ist erstaunlich, da Rieger offensichtlich von Schuld und ihren unzähligen Sünden, die sie sich vorstellte, geplagt war und nicht von Hexerei, und daher alle möglichen Dinge gestand, nur um die Anfechtungen – ihre Kämpfe mit dem Teufel und der Grund ihrer Verzweiflung – zu beenden und ihr Gewissen und Herz zu reinigen.

Es ist einleuchtend, dass Rieger hoffte, durch das Geständnis dieser Verbrechen ihren Tod und damit ihre Erlösung abzusichern. Ihr Handeln kann somit als Selbstmord gedeutet werden, obwohl sie unter diesen Umständen als Christin sterben konnte und nicht die ewige Verdammnis für das Verbrechen des Suizids erwarten musste.24

Moral und Sünde verstand Rieger im Gefüge von Gut und Böse und Gott und Teufel. Die Gefühle von Verzweiflung und Angst, die sie durchlebte, rührten aus ihrem Verständnis vom Teufel her. Diese Gefühle zu besiegen, bedeutete auch, Satan selbst zu besiegen. Der Teufel "nährte" sich von ihren Sünden und hatte Besitz von ihrem Gewissen ergriffen. Ihre Vorstellung, dass "der Teufel in ihr wohne" und "hart auf dem Herzen und in dem Hals [drücke], dass sie nit wohl sprechen könne" zeigt, wie sie sich ihre Sünden vorstellte: als auf sie und ihre Ausdrucksfähigkeit niederdrückend. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass sie unbedingt ihr Gewissen erleichtern und all ihre Sünden beichten wollte - eben weil sie dem Tode nahe war. So konnte sie sicherstellen, dass ihre Seele erlöst würde und sie als reuige Christin sterben konnte. Es scheint so, als ob sowohl Rieger als auch die Männer, die sie vernahmen, die gleichen Überzeugungen teilten: ihre Geständnisse und die Erlösung ihrer Seele waren für beide Seiten gleichermaßen von vorrangiger Bedeutung in diesem Drama.

* Alle wörtlichen Zitate wurden für eine bessere Lesbarkeit an das moderne Deutsch angepasst. Die Originalzitate finden sich in den Endnoten.

Referenzen

1 See Laura Kounine, "The Gendering of Witchcraft: Defence Strategies of Men and Women in German Witchcraft Trials," German History 31 (2013): 295–317.

2 Lyndal Roper, "Beyond Discourse Theory," Women's History Review 19 (2010), 307–19, quot. 314. See also Lyndal Roper, "Jenseits des 'linguistic turn'," Historische Anthropologie 7 (1999): 452–66, quot. 465.

3 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. Januar 1678, 6r, "Hannß Jacob Riegers Maurers fraw Dorothea ist angebracht worden, daß sie inn Jhrer Kranckheit underschidliches außgeredt, warüber dann Jhre wächte dergestallten befragt worden seindt".

4 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. Januar 1678, 6r, "Christoph Ott sagt aus, das nicht allein vergangenen Sambstag umb 12. Vhren Sie dorothea anfangen gantz verzweifelt zuereden, Sie seye nit wehrt auff deme Kirchhoff begraben zuewerden, sonder Sie gehöre under deme galgen, ja mann solle sie verbrennen." Später im Prozess wird Dorothea als Witwe von Jacob Rieger bezeichnet: "dorothea Jacob Riegers Wittib", 28 Januar 1678, 20r.

5 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. January 1678, 6v, "Der Teuffell nutze Jhre Sunden Jhr auff, sonderlich die vihlfaltig begangene Ehebruch, vndt das laden vor das Jungste Bericht, vndt habe sie gemeint, der Teuffel werde sie vergangene Nacht gewiß hohlen, sie könne nicht betten, der Teuffel wehre Jhr, es seye alles vergebens, sie könne nicht glauben, das Jhr Gott werde gnadig seyen, Vndt ob sie schon per intervalla einen tag ruhe gehabt vndt wider betten können, so ist es doch gestern wider schlimmer worden, vndt ist berichts die vollige verzweifflung wider da." Eine ähnliche Feststellung wurde in einem Report vom 18 Januar 1678 gemacht.

6 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. Januar 1678, 6v, "daß Sie Ehebruch mit Jhr getriben seindt; Der Bürgermeister […] welches erst newlich geschehen." Auf 7r, "Ja Sie gestehet sie habe mehr alls 100 Ehebruch beganngen".

7 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 21. Januar 1678, 14r, "Jnn Jhrer kranckh- vndt blödigkeith […] hirmit vnßer befelch, daß bey so beschaffenen dingen Jhr, der Specialis nebst dem Pfarrer vndt Diacono zur Besigheimb, ernante Riegerin fleißig besuchen".

8 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 16. Januar 1678, 10r, "allß wann er Vnzucht mit Jhro getriben hette, da es doch die lauther Vnwahrheith […] daß er sie niemahlen beruhrt, weniger beschlaffen".

9 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. Januar 1678, 7r, "Sie wolle sich selbst erstrichen, wann mann Jhr nur ein Meßer geben".

10 Lyndal Roper, Witch Craze: Terror and Fantasy in Baroque Germany (New Haven: Yale University Press, 2004), 93. Siehe auch Vera Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit: Diskurs, Lebenswelt und kultureller Wandel am Beispiel der Herzogtümer Schleswig und Holstein (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999), 158: "Der überwiegende Teil frühneuzeitlicher Selbstmörder und Selbstmörderinnen nahm Melancholie und Selbstmordneigung als Dinge wahr, die von außen in sie eindringen und auch von außen gelenkt werden […] Im 17. Jahrhundert nahm die von außen aktiv eingreifende Macht die Gestalt des Teufels an […] Tatsächlich konnte die lutherische Kirche den Opfern teuflischer Versuchungen nur das Gebet als Gegenmittel empfehlen; denn Glaube wurde mit der Reformation zu einer Sache der inneren Überzeugung, dem nicht mehr durch bestimmte Hilfsmittel, z. B. der Anrufung von Heiligen, nachgeholfen werden konnte. Nur Gott selbst konnte einem Gläubigen die Gnade der Errettung zuteil werden lassen, und diese Gnade mußte erst über einen schwierigen Prozeß zum tiefen, unzweifelhaften Glauben erarbeitet werden."

11 Siehe Type Krogh, A Lutheran Plague: Murdering to Die in the Eighteenth Century (Leiden: Brill, 2012), ch. 1, besonders 84–5. Krogh fand heraus, dass Selbstmörder nur in Lutherischen Städten und Ländern ein herausragendes Problem darstellten. Siehe auch Kathy Stuart, ‘Suicide by Proxy: the Unintended Consequences of Public Executions in Eighteenth-Century Germany’, Central European History 41 (2008): 413–45; Helga Schnabel-Schüle, Überwachen und Strafen im Territorialstaat: Bedingungen und Auswirkungen des Systems strafrechtlicher Sanktionen im frühneuzeitlichen Württemberg (Köln: Böhlau Verlag, 1997), 261–2.

12 H. C. Erik Midelfort, A History of Madness in Sixteenth-Century Germany (Stanford: Stanford University Press, 1999), 106.

13 Reddy’s Behauptung, dass menschliche Emotionen gleichbleibend sind unter der Voraussetzung, dass sie eine physiologische Komponente haben, aber die Art wie sie ausgedrückt werden in verschiedenen historischen Momenten variieren kann, ist an dieser Stelle hilfreich. Siehe William M. Reddy, The Navigation of Feeling: A Framework for the History of Emotions (Cambridge: Cambridge University Press, 2001). Siehe auch die Diskussion über die Geschichte der Gefühle in Lyndal Roper, The Witch in the Western Imagination (Charlottesville: University of Virginia Press, 2012), ch. 4 "Envy".

14 Siehe Andreas Baehr, Furcht und Furchtlosigkeit. Göttliche Gewalt und Selbstkonstitution im 17. Jahrhundert (Göttingen: Vanendhoeck & Ruprecht, 2013), 298–9:"Die Gläubigen sollten verzweifeln über der eigenen Sündhaftigkeit, aber nicht an ihrer Seligkeit: nicht an der Macht und dem Willen Gottes, jene aus der Sünde zu befreien, die ihn darum baten." Siehe auch David Lederer, "Selbstmord im frühneuzeitlichen Deutschland: Klischee und Geschichte", Psychotherapie 4 (1999): 206–12, quot. 209, http://cip-medien.com/media/download_gallery/02-99/1999-2-12-%20Lederer.pdf.

15 Luther zitiert in Midelfort, A History of Madness, 106.

16 Midelfort, A History of Madness, 104. Cf. Fixierung auf Angst und Verzweiflung im Puritanismus, die in bedeutenden Buch von Robert Burton, Anatomy of Melancholy (1621), diskutiert wird. Burton betonte die emotionalen Effekte von religiöser Melancholie, wenn durch kompromisslose Doktrinen des Puritanismus Menschen in Verzweiflung und auch Selbstmord getrieben wurden. Siehe Michael Macdonald, "Insanity and the Realities of History in Early Modern England’, Psychological Medicine 11 (1981), 11–25, quot. 15.

17 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15 January 1678, 7v, "hat sie dorothea abermahl gesaget, sie gehöre auff deme Scheiterhaufen, auch entlich bekennet, ja sie seye ein hex".

18 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 15. Januar 1678, 9r, "mit nochmaligem bitten, Jhro das recht gedeyen vndt wider fahren zuelaßen, das sie der Martter abkomme, dann der Teufel Jhn Jhr wohne, vff dem hertzen vnd in demm halß hart truckhe, daß sie nit wohl reden könne, vndt so quele vndt peinige, daß sie es nit mehr erdulden vndt vßstehen könne, mann soll Jhr ein Meßer geben, daß sie es in leibe stoße".

19 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 23. Januar 1678, 27v, "Will sie nicht mehr bejahen, fürgebend, sie wiße nicht mehr alles, so punctlich, was sie damahlen inn Jhrer angst gesagt, soch aber diß bekenne sie, das sie der Teuffel vor 2. Jahren inn gestalt eines schönen Jungen gesellen auss ihre Stuben abgehohlt[…] Underdeßen habe sie nicht mehr vor Jhme gehört, biß vor 14. tag Jhr das gewißen auffgewacht, da der Teuffel die Sunden Jhro hefftig auffgenutzt".

20 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 23. Januar 1678, 27v, "Jnn dene vbrig, was Jhr vorgehallten worden, sey ein Mißverstand, vndt bitte sie, mann wolle Jhr nicht mehr zuelegen".

21 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 23. January 1678, 28r, "Dises alles hat sie Dorothea ohne einige blödigkeith auff befragen inn gegenwartt vnderzeichneter Personhnen nochmahlen bekhennet".

22 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger,1. März 1678, 41r, "das Dorothea Jacob Riegers Wittib […] gestern nachts, nach 10 Vhr bey guether vernunftt […] ein stilles vnd sanfttes End genommen".

23 HtStASt, A209 Bü 327, Dorothea Rieger, 1. März 1678, 41r, "alß das [...] wür an Jhrer bekherung vnd Seeligkheit nicht zweifflen, bevorab, weil, sie, so lang wür sie besuechet, sie all weeg [...] andächtig gebetten, gestern haben wür sie das letstere mahl besuecht, da sie vns dann nach vernünfftig vnd verständtlich nach gebetten, mit [...] glauben vnd hoffnung zue Bald, der werde sie zu gnaden annemmen, Jhre Sünden [...] willen vorgeben, [...] haben wür sie gefragt neben ander puncten, ob sie auch noch anfechtung, versuchung, vnd nachstellung von bösen feind hab? Rp: Nein, Bald hab nicht mehr 2. ob sie kein schwere sünd mehr vber die bekhandte auff Jhren hertzen vnd gewisen so sie [illegible] ligen habe? Rp: Nein, sie hab alles bekhendt, vnd wise nichts mehr. 3. ob es wahr seye, vnd sie wahrhafftig vnd beständig bey der angebung der 4. hiesigen manner in puncto adultery verbleibe. rp. Ja, es sey vnd bleibe äwig wahr, sie wolle darauff leben vnd sterben, welchs sie erst gestern abendts 4. stund vor jhren todt mir dem Pfarrer jn beysein jhrer 3. wächter wider bekhent vnd deutlich auch vernünfftig bejaht. Anizo Jsts an dem, dz F. vogt, Bürgmaister vnd Bericht disen Jhren todfall vnderthönigst zur furstl. Cantzley berichten, vmn sich beschaidts zue erhohlen, wie es mit Jhrer begrabens soll geholten werde."

24 Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, 160–1.

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