Komik als Medium der Gefühlspolitik

Richterlicher Humor und richterliches Emotionsmanagement in der Justiz der Weimarer Republik

"Vorsitzender: 'Angeklagter, warum erlauben Sie Ihrer Frau das Trinken?'
Angeklagter: 'Ich erlaube es ihr nicht, aber was soll ich tun? Sie hört doch nicht auf mich. Ich kann sie ja auch nicht jeden Tag schlagen.'
Vorsitzender (ohne eine Miene zu verziehen, in scheinbarer Zustimmung): 'Jeden Tag nicht.'"

Gelächter im Gerichtsaal, der Witz hat seine Wirkung nicht verfehlt. Selbst der "Beisitzer, der Staatsanwalt, die Verteidiger lächeln oder schmunzeln", so berichtete die Vossische Zeitung  im April 1931, die regelmäßig Reportagen "Aus den Berliner Gerichten" lieferte.1 Anekdoten wie diese finden sich zuhauf auch in den zahlreichen zeitgenössischen Sammlungen zum "Humor vor Gericht", die das Prozessgeschehen, gern in dialektaler Form wiedergegeben, als Bühne für "heitere Szenen" beschrieben.2 Weitaus kritischer setzte hier die Berichterstattung in den Tageszeitungen an, die in den 1930er Jahren eine wichtige Position im öffentlichen Diskurs einnahm. Seit die Printpresse an der Wende zum 20. Jahrhundert zu einem Massenmedium aufgestiegen war, erfreute sich das Genre der Gerichtsberichterstattung einer neuen Popularität und Reichweite. Vor allem Kriminaldelikte erweckten gesellschaftliches Interesse, aber auch das Prozessgeschehen alltäglicher Fälle, abseits der großen Sensationsprozesse, die gern von Boulevardzeitungen aufgegriffen wurden, fand mediale Verarbeitung und diente einerseits der Unterhaltung, andererseits der Auseinandersetzung mit drängenden sozialen und politischen Fragen der Zeit.3

Dass gerade vermeintlich humorige Situationen dazu geeignet waren, gesellschaftliche Konfliktlinien nachzuzeichnen, war dem Berichterstatter der Vossischen Zeitung durchaus bewusst. Mit der geschilderten Anekdote waren gleich mehrere Problemfelder angesprochen: Zum Ersten baute der Witz auf dem Aufeinandertreffen zweier verschiedener gesellschaftlicher Klassen und sozialer Lebensumstände auf, das Alkoholmissbrauch, häusliche Gewalt und ein Entgleiten klassischer Geschlechterrollen als Kennzeichen des Milieus des Angeklagten in den Fokus rückte. Zum Zweiten zielte die Anekdote auf die Art der Verhandlungsführung durch den Vorsitzenden und damit auf Wesen und Wirken der Justiz selbst.

Die Gerichtsberichterstattung fungiert hier als Brennglas, das die justizielle Praxis als eine soziale Praxis sichtbar macht, bei der, so möchte diese Quellenanalyse zeigen, die Wahrnehmung von und der richtige Umgang mit Gefühlen im Zentrum stand. Vor allem seit der Entstehung der feuilletonistischen Gerichtsreportage in der Weimarer Republik, die die bis dahin verbreitete "richteroffiziöse" mediale Wiedergabe der Sachverhalte und Vorgänge ablöste, verband sich mit der Gerichtssparte in der Tagespresse auch ein politischer Impuls.4 Das Reden über die Justiz entwickelte sich, nicht zuletzt als Pfeiler einer demokratischen Diskurskultur, zu einem gesellschaftskritischen Kommentar.

Zu diesem Zweck nutzte der Reporter der Vossischen Zeitung auch obige Schilderung der Gerichtsszene. Er selbst war von ihr keineswegs amüsiert. "Der witzige Richter" gab ihm vielmehr zu deutlicher Kritik Anlass – da er die emotionalen Implikationen seiner Äußerungen nicht reflektierte. Humor und Lachen innerhalb des Gerichtssaals erschienen hier als eine heikle Angelegenheit, die zwar als Auflockerung steifer juristischer Formen geschätzt wurde, gerade durch ihre Gefühlswirkung aber als riskant erschien. Ausschlaggebend war dabei die soziale Funktion, die Witz und Humor erfüllten: Über das Scherzen und Lachen konnten Übereinstimmung bekräftigt und Bindungen hergestellt werden – gleichzeitig aber auch eine Ausgrenzung stattfinden, wie sie der Reporter der Vossischen Zeitung wahrnahm. Der Angeklagte nämlich setzte seine Verteidigungsrede einfach fort. "Er hat den Witz nicht verstanden, er weiß gar nicht, daß ein Witz gemacht worden ist." Humor fungierte hier als Mittel der Exklusion, das gleichzeitig eine Bindungskraft für den Kreis der Eingeweihten besaß.5

In ihrer Fokussierung auf Mündlichkeit und Öffentlichkeit lassen sich Gerichtsverfahren als eine kommunikative Praxis und Form sozialer Interaktion begreifen, die über Redeweisen soziale Ordnungen aus- und herstellte.6 Genau dies leistete auch der Kommunikationsmodus des Humors. Das Scherzen stellte eine der sozialen Praktiken dar, die die justizielle Praxis grundierten, und wurde in dieser Funktion bereits zeitgenössisch hinterfragt.7 Der genaue Blick auf die Art und Weise des Scherzens vor Gericht, so erkannte bereits die zeitgenössische Presse, legt die Modi der sozialen Interaktion und der Herstellung von Hierarchien offen, die Gerichtsverfahren strukturierten.

Dabei war die Kategorisierung als "witzig" im Unterschied zu "humorvoll" entscheidend für die Kritik an dem Berliner Richter. Denn "Witz", so hielt die Vossische Zeitung fest, "ist nicht Humor". Witz und Humor waren in den Augen des Reporters keineswegs identisch, sondern verwiesen auf je unterschiedliche Arten des gesellschaftlichen Umgangs, insbesondere des Umgangs mit Gefühlen. Diese Unterscheidung entstammte der Tradition des 19. Jahrhunderts, in der ein spezifisch deutsch gedachter Humor stets über einem als französisch geltenden Witz oder auch der Ironie rangierte. Alle diese Formen der Komik resultierten nach damaliger Ansicht aus einem Aufeinandertreffen von Gegensätzen, die jedoch im Witz, in der Satire oder der Ironie nicht aufgehoben wurden. Insbesondere der Satire schrieb man eine aufwiegelnde, verletzende und destruktive Tendenz zu. Im Gegensatz dazu stand die "deutsche" Ausprägung des Humors: Sie versprach aus zeitgenössischer Sicht eine harmonisierende Wirkung, da sie auf ein inkludierendes Lachen abziele.8

Humor galt somit als eine versöhnende Praxis und wurde als solche auch im Gerichtssaal geschätzt. Witz hingegen, so die Vossische Zeitung, beruhe auf einer voraussetzungsreichen Feingeistigkeit, deren Ausstellen im Gerichtskontext nicht integrativ, sondern abwertend wirke. Gelacht wurde hier nicht mit, sondern über jemanden. Ins Gewicht fiel dabei nicht nur, dass dem Angeklagten (im Unterschied zum Publikum oder dem juristischen Personal) der Sinn nicht nach Scherzen stand. Schwer wog vor allem die Allianz, die sich durch das Lachen über den richterlichen Scherz ergab und die sozialen Differenzen im Gerichtssaal untermauerte. Um mitzulachen zu können, merkte die Vossische Zeitung an, fehlte dem Angeklagten die Bildung und der "gesellschaftliche Schliff". Doch einen Effekt hatte der unverstandene Witz sehr wohl auf ihn: "Er kommt nicht mit. Aber er hört das Lachen, er sieht das Lächeln und das Schmunzeln. Er merkt, hier geht etwas vor auf seine Kosten. Er wird noch unsicherer, als er es schon gewesen ist."9

Die Kritik, die der Gerichtsreporter anführte, bezog sich damit genau auf die emotionalen Effekte richterlichen Witzes, die umso größer erschienen, sobald die inhaltliche Ebene nicht von allen Teilnehmern erschlossen werden konnte. Diesem Aspekt der Prozessgestaltung maß er sogar eine größere Bedeutung bei als dem abschließenden Urteil. Dieses nämlich fiel nach Meinung des Reporters bei scherzhaften Richtern meist milde und günstig für den Angeklagten aus. Keineswegs machte dies jedoch den Witz an sich akzeptabel. Vielmehr geschehe durch ihn "beinahe ein Mißbrauch" der richterlichen Position, der demzufolge auch in einem verbalen Ausnutzen von Macht bestehen konnte, die emotional erfahrbar wurde.10 Die Vossische Zeitung forderte damit vom Richter nicht allein eine gerechte Rechtsprechung ein. Dem Richter kam vielmehr die Verantwortung zu, während der Verhandlung für ein emotionales Setting zu sorgen, das die unterschiedlichen Voraussetzungen der Prozessbeteiligten berücksichtigte.

Wie wichtig der richtige richterliche Umgang mit den eigenen Gefühlen wie jenen der übrigen Prozessteilnehmer für den Erfolg der Wahrheitsfindung war, wurde in der Jurisprudenz des frühen 20. Jahrhunderts verstärkt reflektiert.11 Im Hintergrund stand dabei der in der Presse allgegenwärtige Vorwurf der "Klassenjustiz" und die spätestens seit Mitte der 1920er Jahre weit verbreitete Wahrnehmung einer "Vertrauenskrise" zwischen Bevölkerung und Justiz, durch die vor allem die Richterschaft der Weimarer Republik unter Druck geriet.12 Juristische Analysen bezüglich der Ursachen dieser Konflikte und zeitgenössische Lösungsvorschläge nahmen strukturelle und methodische Mängel im Rechtswesen in den Blick, verwiesen jedoch alle immer wieder auf ein Kernproblem: eine unzureichende emotionale Bildung des Justizpersonals. Mechanismen sozialer Abgrenzung, wie sie in bürgerlichen Kreisen gegenüber niederen Schichten existierten, sollten nach Ansicht reformorientierter, linksliberaler Juristen reduziert und durch einen Gestus emotionaler Offenheit ersetzt werden. Vertrauen, so die zeitgenössische Annahme, beruhe auf einer emotionalen Bindung, die nur durch eine gegenseitige Kenntnis von Lebensumständen, Sprechweisen, Werten hergestellt werden könne. Austausch statt Distanzierung lautete die Losung, die auch für die Verhandlungsführung Relevanz besaß. Vertrauensbildung avancierte zu einer zentralen Aufgabe der richterlichen Tätigkeit, die auf dem richtigen Umgang des Richters mit den emotionalen Herausforderungen der Prozessleitung beruhte.13

Die Erkenntnisse der zeitgenössischen Kriminalistik bekräftigten die Notwendigkeit einer stärkeren Reflexion des richterlichen Emotionsmanagements: Nur wenn es dem Richter gelänge, durch die Kultivierung positiver Gefühle und den entsprechenden Stimm- und Mimikeinsatz eine wohlwollende Verhandlungsatmosphäre zu schaffen, könnten auch in den Angeklagten und Zeugen ähnliche Emotionen geweckt und die Wahrheitsfindung begünstigt werden. Angst, Nervosität und Druck hingegen, die über ein nötiges Maß an Strenge hinausgingen, so die Erkenntnis der Aussagepsychologie, beeinträchtigten lediglich das Erinnerungs- und Artikulationsvermögen.14

Die liberaldemokratische Presse schlug in die gleiche Kerbe, weshalb auch der Verunsicherung stiftende Witz des Berliner Richters auf Ablehnung stieß. Zu einer Vertrauensbildung konnte und sollte Humor zwar beitragen, aber nur sofern er die gewünschte integrative, Hierarchien auflockernde Wirkung besaß. Man wünsche wohl, so formulierte der Gerichtsreporter, "der Richter möge Humor genug aufbringen, um einen Zusammenstoß, der niemandem als den Angeklagten schaden kann, zu vermeiden".15 Nicht der Betonung von Autorität und Überlegenheit sollte die richterliche Prozessführung also dienen, sondern dem Austarieren von Differenzen. Dies bedeutete, dass von dem Richter eine größere Toleranz gegenüber Brüchen mit den gerichtlichen Verhaltensregeln eingefordert und eine flexiblere Reaktion darauf erwartet wurde.

Humor fungierte damit als eine Metaebene, über die eine Kommentierung des Geschehens und eine Distanzierung vom üblichen Verfahrensprotokoll stattfand. Er ermöglichte eine Flexibilisierung innerhalb des von förmlichen Regeln und Verhaltenscodes strukturierten Gerichtsprozesses, deren Bruch schnell zu Konflikten zwischen den Prozessteilnehmern führen konnte. Gerichtsverhandlungen, die durch die vorgegebene Rollenverteilung bereits hierarchisch geprägt waren, traten immer auch als Verhandlungen sozialer Hierarchien in Erscheinung, die über das Einhalten bzw. Überschreiten von Verhaltensnormen markiert wurden.16

Zu einer gerechten Rechtsprechung trug aus Sicht der Vossischen Zeitung bei, dass das Gericht und damit insbesondere der Richter die Fähigkeit besaß, sich in Momenten des Konflikts selbst weniger ernst zu nehmen. Humor statt einer Reizbarkeit, die zu einem sofortigen Ausspielen richterlicher Machtbefugnisse führte, schwebte dem Reporter vor. Eine humorvolle Toleranz zeichnete so den idealen Richter aus, ein Bild, das jedoch in der Praxis immer wieder konterkariert wurde: In einer Verhandlung am Schöffengericht Berlin-Mitte verurteilte der Vorsitzende Richter 1928 drei Zeugen zu einer dreitägigen Haftstrafe. Der Grund war lautes Gelächter, das durch Belustigung über eine Formulierung in einer Verteidigungsrede aufgekommen und in diesem Fall als Angriff auf die Würde des Gerichts verstanden worden war.17

Welche Formen des Humors vor Gericht zulässig waren und wer für welche Komik zur Verantwortung gezogen wurde, hing stark von der Position der Person innerhalb des Verfahrens und ihrem sozialen Status ab. Während der Vorsitzende als Inhaber der Sitzungspolizei schnell agieren und missfälligen Humor unterbinden konnte, war dies für die übrigen Prozessteilnehmer weitaus schwieriger; zudem stammte das juristische Personal mehrheitlich aus bürgerlichen Kreisen, während sich unter den Angeklagten häufig Vertreter der unteren Gesellschaftsschichten befanden.18 Gleichwohl existierten für Juristen Konventionen und Regeln über den Einsatz von Humor vor Gericht, die vor allem in Werken zur juristischen Rhetorik niedergelegt waren. Seit der Antike, auf die sich auch Standardwerke zur gerichtlichen Beredsamkeit um 1900 noch bezogen, bildete Humor eines der klassischen Mittel, um die Redeadressaten zu überzeugen. Für den Richter jedoch sah die juristische Rhetorik im Unterschied zu den Verteidigern Einschränkungen vor: "Die Komik der Rede in den Gerichtssälen", wurde hier proklamiert, "ist nur den Parteirednern zu gestatten". Ein komischer Richter möge belustigend wirken, doch "den feiner Fühlenden verletz[e]" die Komik, daher möge man auf sie verzichten.19 Diese Anweisung korrespondierte mit dem Ideal der Sachlichkeit, das sich mit dem Richteramt verband und auf den Sprachstil des Richters übertragen wurde. "[W]ürdig, streng und gemessen" sollte der Richter sich äußern, nicht zuletzt, um dem Richten als Staatsakt Rechnung zu tragen.20

Einerseits stand also der Verzicht auf Komik im Sinne einer neutralisierenden Distanznahme des Richters für eine gelingende Rechtsprechung ein, während andererseits Anfang des 20. Jahrhunderts eine Interaktion zwischen Richter und Prozessteilnehmern gefordert wurde, die es dem Richter zur Aufgabe machte, die Gesprächspartner für die Mitwirkung an der Wahrheitsfindung zu gewinnen – wofür aber genau die Mittel der Rhetorik und des Einwirkens auf Gefühle relevant wurden, von denen sich der Richter klassischerweise fernzuhalten hatte.

Auch die Vossische Zeitung formulierte in dieser Hinsicht eine deutliche Erwartungshaltung und nahm das Handeln des Justizpersonals gezielt und kritisch in den Blick – eine Vorgehensweise, die noch keine lange Tradition besaß. Der Artikel verweist damit zugleich auf einen mediengeschichtlichen Wandel: An der  Wende zum 20. Jahrhundert vollzogen sich Veränderungen im Pressewesen und im Selbstverständnis der Gerichtsreporter, die den Printmedien einen neuen Wirkungsraum verschafften. Eine offene Justizkritik in den Gerichtssparten der Tageszeitungen war eine Erscheinung, die sich erst im Kontext der Ausdifferenzierung und Ausweitung der Presselandschaft im Kaiserreich etabliert hatte. Noch im 19. Jahrhundert zeichneten sich Prozessberichte vor allem durch die faktische Wiedergabe des Falles aus der Perspektive des Gerichts aus.21

Bis zur Zeit der Weimarer Republik hatte sich dies grundlegend verändert. In den 1920er Jahren entwickelte das Genre der Gerichtsreportage eine Dynamik und journalistische Schlagkraft, die es auf bisher ungekannte Weise zum Forum gesellschaftspolitischer Debatten machten. Schon seit der Jahrhundertwende ließen neue Produktions- und Distributionsmöglichkeiten die Presse zu einem Massenmedium mit wachsender Reichweite avancieren; eine Boulevardpresse entstand, die sich mit Vorliebe auch der Justiz, insbesondere Sensationsprozessen, widmete.22 Doch auch liberaldemokratische Tageszeitungen wie die Vossische Zeitung profilierten sich über das Genre der Gerichtsberichterstattung und brachten Starreporter wie Paul Schlesinger hervor, der unter dem Pseudonym Sling in der Weimarer Republik Prominenz erlangte. Nach dem Ausscheiden Schlesingers im Jahr 1928 nahm der Journalist Moritz Goldstein dessen Posten bei der Vossischen Zeitung ein, der, firmierend als "Inquit", auch den hier zitierten Artikel verfasste. Der Fokus der Berichte lag nun häufig auf dem juristischen Personal, dessen Handeln und Handlungsspielräumen innerhalb der Justizstrukturen, womit auch das rechtspolitische Problembewusstsein auf neue Art geschärft wurde.23

Die Strahlkraft, die das Genre der Gerichtsreportage Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb, hing nicht zuletzt mit der Entwicklung eines neuen journalistischen Schreibens zusammen. Ein feuilletonistischer Stil prägte die Gerichtsberichterstattung, der sich literarischer Stilmittel bediente und mit Strömungen der zeitgenössischen Literatur, beispielsweise der Neuen Sachlichkeit, in Verbindung stand.24 Die Regierung nahm diesen wachsenden gesellschaftlichen Einfluss der Gerichtsreportagen durchaus wahr: Der Artikel über den "witzigen Richter" fand Eingang in die Akten des Justizministeriums, das Zeitungsberichte über "Missstände bei Gerichten" sammelte und so die zeitgenössische Justizkritik dokumentierte, die das Zentrum der inner- wie außerjuristischen Debatten um eine "Vertrauenskrise der Justiz" bildete.25

Bereits im Kaiserreich wurde der Aufschwung der Presse in juristischen Kreisen kritisch reflektiert.26 Nicht nur, dass sich die Justiz vermehrt öffentlicher Kritik aussetzen musste, löste Unmut aus, sondern auch die Popularität des journalistischen Duktus bereitete Sorge. Dieser, so bemängelte der Reichsgerichtsrat Hermann Daubenspeck 1893, färbe auf juristische Ausdrucksweisen ab. In seinem Ratgeber zur gerichtlichen Sprache sah Daubenspeck sich veranlasst, gegen den "leichte[n] Feuilletonstil" anzuschreiben und riet eindringlich dazu, die richterliche Sprache, allen voran die Urteilsbegründungen, "von aller Polemik, von Scherz und falschem Pathos" freizuhalten.27 Das Risiko, andere zu verletzen oder zu beleidigen, das auf jeden Fall vermieden werden sollte, schien Daubenspeck durch die in der Presse gesetzten Sprachtrends angestiegen. "Zeitungsphrasen" hielten seiner Meinung nach Eingang in die Redeweisen der jüngeren Generation, die der idealen richterlichen Sprache zuwiderlief.28

Ging es bei diesem Verzicht auf Humor um die Hervorhebung des Richtens als eines Staatsakts, zielte die Kritik am richterlichen Humor in der Gerichtspresse gerade nicht auf die Ausstellung von Strenge, sondern auf Modi der Flexibilität, über die soziale Differenzen im Gerichtsaal abgemildert werden sollten. Die Beschäftigung mit Fragen des Humors, wie sie in der Vossischen Zeitung zutage trat, lässt sich somit als Teil einer Verschiebung in der zeitgenössischen Wahrnehmung von Problemlagen der Justiz und ihren Lösungsansätzen lesen. Anders als im 19. Jahrhundert interessierte sich die Gerichtsreportage des 20. Jahrhunderts insbesondere für die psychologischen Mechanismen, die vor Gericht zum Tragen kamen. Sowohl die Beweggründe für eine Tat als auch Handlungsweisen während des Prozesses – von Angeklagten und Zeugen ebenso wie des juristischen Personals – rückten in ihren psychologischen Bedingtheiten ins Blickfeld.29 So wurden auch die Spielweisen und Effekte des Humors als Teil eines emotionalen Wirkungszusammenhangs verstanden, der für das Funktionieren der Justiz als zentral erachtet wurde.

Humor trat dabei in einer sozialen Funktion hervor, über die soziale Ordnungen und Zugehörigkeiten im Raum des Gerichts verhandelt, das heißt gefestigt oder aber auch aufgelöst werden konnten. Nicht Komik an sich erschien daher vor Gericht problematisch, sondern es war vielmehr ihre konkrete Gestaltung, die ausschlaggebend für die Kritik war. Dies lag vor allem an den emotionalen Implikationen, die sich mit ihr verband. Wie eine emotionshistorische Perspektive zeigt, wurde dem Richter die Verantwortung für das Gefühlsmanagement vor Gericht auferlegt. Komik wurde dabei als Medium einer Gefühlspolitik verstanden, die positiv wie auch negativ gewendet werden konnte. Durch die Fähigkeit zur Inklusion, aber auch zur Exklusion besaß Humor eine politische Ebene, die von den Zeitgenossen durchaus reflektiert wurde.

Von dem Ideal der Harmonisierung, wie es die Vorstellung eines integrativen Humors beinhaltete, war die Gerichtsrealität der Weimarer Republik jedoch weit entfernt. Verhandlungen gerieten zunehmend zu Bühnen, auf denen ideologische Konflikte nicht nur öffentlichkeitswirksam ausgetragen, sondern auch bewusst zur Eskalation getrieben wurden.30 Das Ziel eines gesellschaftlichen Ausgleichs rückte durch die Zuspitzung der politischen Lage in weite Ferne. Auf richterlichen Humor wollte sich Moritz Goldstein nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht verlassen. Als Jude von seinem Job bei der Vossischen Zeitung entlassen, ging er 1933 ins Exil.

 Referenzen

1 "Der witzige Richter," Vossische Zeitung vom 12.04.1931, enthalten in: GStA PK, I. HA, Rep. 84a: Justizministerium. Zeitungs-Ausschnitte über wirkliche oder vermeintliche Missstände bei Gerichten des Kammergerichtsbezirks, 1929-1931, Nr. 20250.

2 Z. B. Lustiger Berliner Pitaval. Neuer Humor vor Gericht im Berliner Dialect (Berlin: Hugo Steinitz, 1888); Berliner Humor vor Gericht. Heitere Scenen aus den Berliner Gerichtssälen (Berlin, 1905); Peter Purzelbaum, Auch Justitia lächelt. Allerlei Gerichts-Humor (Berlin: Beenken, 1939).

3 Vgl. Benjamin Carter Hett, Death in the Tiergarten. Murder and Criminal Justice in the Kaiser's Berlin(Cambridge: Harvard University Press, 2004) 5, 181; Daniel Siemens, Metropole und Verbrechen. Die Gerichtsreportage in Berlin, Paris und Chicago 1919–1933 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2007), 61-66.

4 Vgl. Siemens, Metropole und Verbrechen, 43-49, 61-66.

5 Vgl. Martina Kessel, "Introduction. Landscapes of Humour: The History and Politics of the Comical in the Twentieth Century," in The Politics of Humour. Laughter, Inclusion, and Exclusion in the Twentieth Century, Martina Kessel, Patrick Merziger, Hg. (Toronto: University of Toronto Press,  2012) 3-21, hier: S. 3, 9.

6 Vgl. Alexandra Ortmann, Machtvolle Verhandlungen. Zur Kulturgeschichte der deutschen Strafjustiz 1879-1924 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014), 273-283; Cornelia Vismann, Medien der Rechtsprechung (Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag, 2011), 19-33, 49-51; Rebekka Habermas, Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert (Frankfurt/M.: Campus Verlag, 2008),  235-237; grundlegend: Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren (Frankfurt/M.: Suhrkamp,  2017).

7 Vgl. Jan Bremmer, Herman Roodenburg, "Introduction: Humour and History," in A Cultural History of Humour. From Antiquity to the Present Day, Jan Bremmer, Herman Roodenburg , Hg. (Cambridge: Wiley, 1997), 1-10; Kessel, "Introduction"; Peter Jelavich, "When Are Jewish Jokes No Longer Funny? Ethnic Humour in Imperial and Republican Berlin," in The Politics of Humour, 22-51, hier: 24.

8 Vgl. Martina Kessel, "Gewalt schreiben. 'Deutscher Humor' in den Weltkriegen," in Wolfgang Hardtwig, Hg., Ordnungen in der Krise. Politische Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, (München: De Gruyter, 2007),  229-258, hier: 234;  Patrick Merziger, Nationalsozialistische Satire und "Deutscher Humor". Politische Bedeutung und Öffentlichkeit populärer Unterhaltung 1931-1945 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2010), 175-177, 191-192.

9 "Der witzige Richter".

10 Ebd.

11 Vgl. Sandra Schnädelbach, "The Jurist as Manager of Emotions. German Debates on "Rechtsgefühl" in the Late 19th and Early 20th Century as Sites of Negotiating the Juristic Treatment of Emotions," InterDisciplines 6, no. 2 (2015): 47-73.

12 Vgl. Daniel Siemens, "Die 'Vertrauenskrise' der Justiz," in Die "Krise" der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Moritz Föllmer, Rüdiger Graf, Hg. (Frankfurt/M.: Campus Verlag, 2005), 139-163; Thomas Drosdeck, "Richterbilder und richterliches Selbstverständnis in der Weimarer Republik," in Europäische und amerikanische Richterbilder, Andre Gouron u.a., Hg.(Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 1996), 293-332; Robert Kuhn, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926-1928). Der Kampf um die "Republikanisierung" der Rechtspflege in der Weimarer Republik (Köln: Bundesanzeiger, 1983).

13 Vgl. zum Konzept des Vertrauens Ute Frevert, "Vertrauen – eine historische Spurensuche," in Vertrauen. Historische Annäherungen, Ute Frevert, Hg. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003), 7-66. Zum gesamten Komplex vgl. Sandra Schnädelbach, "Entscheidende Gefühle. 'Rechtsgefühl' und juristische Emotionalität in der deutschsprachigen Jurisprudenz 1870-1933,"(Diss., Freie Universität Berlin 2017), 291-330.

14 Vgl. Hans Gross, Kriminalpsychologie, 2. Aufl. (Leipzig: F.C.W. Vogel, 1905), 16-49; vgl. Schnädelbach, "Entscheidende Gefühle," 278-283; zur Kriminalistik der Zeit vgl. Lukas Gschwend, Justizias Griff zur Lupe. Zur Verwissenschaftlichung der Kriminalistik im 19. Jahrhundert (Graz: Leykam, 2004).

15 "Der witzige Richter".

16 Vgl. Habermas, Diebe vor Gericht, 235-237; Ortmann, Machtvolle Verhandlungen, 185-187; Schnädelbach, "Entscheidende Gefühle," 229-257.

17 Berliner Tageblattvom 6.10.28, in: GStA PK, I. HA, Rep. 84a: Justizministerium. Kammergerichtsbezirk Berlin. Personalangelegenheiten, Allgemein. Vorwürfe gegen die Justizverwaltung über die Führung einzelner Prozesse, Bd. 6: 1928-1929, Nr. 20306, Bl. 119.

18 Vgl. Ortmann, Machtvolle Verhandlungen, 105-107; Alexandra Ortmann, "Jenseits von Klassenjustiz. Ein Blick in die ländliche Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs," Geschichte und Gesellschaft 35, Nr. 4 (2009): 629-658; ferner die Beiträge in Richard Wetzell, Hg., Crime and Criminal Justice in Modern Germany (New York: Berghahn Books, 2014).

19 Hermann Ortloff, Die gerichtliche Redekunst (Berlin/Neuwied: Siemenroth & Worms, 1890), 116.

20 Vgl. Hermann Daubenspeck, Die Sprache in gerichtlichen Entscheidungen (Berlin: F. Vahlen, 1893), Zitat Seite 5.

21 Vgl. Daniel Siemens, "'Vom Leben getötet.' Die Gerichtsreportage in der liberal-demokratischen Presse im Berlin der 1920er Jahre," in Ordnungen in der Krise, 327-354, hier: 329.

22 Vgl. Hett, Death in the Tiergarten, 5, 181; Siemens, Metropole und Verbrechen, 61-66.

23 Vgl. Siemens, "Vom Leben getötet," 327-333.

24 Vgl. ebd. Ein Beispiel hierfür ist auch der Jurist und Publizist Kurt Tucholsky. Vgl. zur Biografie Thorsten Miederhoff, 'Man erspare es mir, mein Juristenherz auszuschütten.' Dr. iur. Kurt Tucholsky (1890 - 1935); sein juristischer Werdegang und seine Auseinandersetzung mit der Weimarer Strafrechtsreformdebatte am Beispiel der Rechtsprechung durch Laienrichter (Frankfurt/M. : Peter Lang, 2008).

25 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 84a: Justizministerium. Zeitungs-Ausschnitte über wirkliche oder vermeintliche Missstände bei Gerichten des Kammergerichtsbezirks, 1929-1931, Nr. 20250. Zum Topos der "Vertrauenskrise der Justiz" siehe Siemens "Die 'Vertrauenskrise'"; Claudia Schöningh, "Kontrolliert die Justiz". Die Vertrauenskrise der Weimarer Republik im Spiegel der Gerichtsreportagen von Weltbühne, Tagebuch und Vossischer Zeitung (Paderborn: Wilhelm Fink, 2000).

26 Vgl. Uwe Wilhelm, Das deutsche Kaiserreich und seine Justiz. Justizkritik – politische Strafrechtsprechung – Justizpolitik (Berlin: Duncker & Humblot, 2010), insbesondere 299-303.

27 Vgl. Daubenspeck, Die Sprache, 3-6, Zitate Seite 5.

28 Ebd.,  3.

29 Vgl. Siemens, "Vom Leben getötet," 344.

30 Vgl. dazu ausführlich Henning Grunwald, From Courtroom to Revolutionary Stage. Performance and Ideology in Weimar Political Trials (Oxford: Oxford University Press, 2012).

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